Die aktuelle Ausstellung, zu deren Eröffnung wir hier heute Abend zusammengekommen sind, ist dem Werk des Bildhauers Klaus Wiedmann gewidmet, den Sie, sehr geehrter Herr Baumann, bereits vorgestellt haben. Erlauben Sie mir nur einige kurze Bemerkungen zu den Werkgruppen, die hier ausgestellt werden.
Bei einem ersten Rundgang wird mancher, der das Oeuvre Wiedmanns neu für sich entdeckt, zunächst glauben, zwei Bildhauer stellten aus: so stark gliedert sich das Werk in zwei Schaffensbereiche, die aber zeitlich parallel nebeneinander entstehen. Das beiden gemeinsame, offensichtliche Charakteristikum ist die konsequente Umsetzung in Bronze, dem klassischsten aller bildhauerischen Werkstoffe. Das Trennende, Autonome der Gruppen, das der Künstler selbst nicht überbewertet wissen will, steht uns als Betrachtern klar vor Augen:
Die eine Motivation bildnerischen Ausdrucks, die den Künstler antreibt, ist die Darstellung der menschlichen Figur, wobei er über das Individuelle dieser Darstellung weit hinausgeht und sich vielmehr dem Typologischen verschreibt.
Die zweite Werkgruppe dagegen, die ich zunächst vorstellen möchte, gründet auf einer detaillierten Naturbeobachtung, die sicherlich auch in der landschaftsbezogenen Lebensweise Wiedmanns begründet liegt: Im niederbayerischen Maulberg bewohnt er ein Anwesen, in einer Umgebung, in der sich Naturbezug und Kunstschaffen auf Engste verschränken. Seine Alltagswelt und sein bildnerisches Schaffen sind ganz und gar unteilbar.
Mitunter öffnet der Bildhauer für wenige Tage sein Refugium für die Öffentlichkeit, und ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, diese seltenen Gelegenheiten zu einem Besuch zu nutzen: Eindringlicher als dort lässt sich nirgends erfahren, worin Eigenart und spezifischer Ausdruck seines Werks begründet liegen.
Auf diesem Fundament enger Naturverbundenheit entstehen seine Tierplastiken, wobei er sich hier fast ausschließlich den Vögeln verschreibt. Der „Gerfalke“, der „Rote Milan“, der „Birkhahn“ oder der „Gänsesäger“ hier in der Ausstellung sind die jüngsten Früchte dieser Auseinandersetzung.
Statuarisch, in sich ruhend, häufig auf schlanken Säulenschäften festgekrallt, irritieren sie den Betrachter: trotz Ihrer großen Naturnähe, die auf genauester Beobachtung und Nachempfindung beruht, sind sie keine detaillierten, naturalistischen Nachbildungen in einem zoologischen Sinn. Sie sind vielmehr bildhauerische, durchaus abstrahierende Kompositionen, in denen das Gesetz der Figur, der formale, ja architektonische Aufbau genauso aufgehen wie die individuellen Charakteristika eines Reihers, eines Uhus oder eines Birkhahns.
Hier offenbart sich der im Werkprozeß entscheidende Schritt vom bloßen Nachbilden des real Vorhandenen hin zu einem empathischen Schaffen neuer Gestaltrealitäten.
Großes Faszinosum und Vorbild sind dabei die frühen Bildzeugnisse der Steinzeit wie die berühmten Felsbilder von Altamira, in denen mit wenigen Linien das Typische der Tiere herausgeholt und zu kultischen Zwecken im Bild gebannt wurde.
Bei der Modellierung der Vögel geht Wiedmann immer vom gleichen Grundelement, einem ovaloiden Körper aus, der je nach Lebensraum dieses Vogels spezifisch weiter ausgeformt wird. Schnabelform, Beinlänge, und Federkleid etwa antworten immer auf die Bedingungen der ökologischen Nische. Faszinierend ist für den Bildhauer dabei immer wieder von Neuem die riesige Fülle von Gestaltmöglichkeiten, die sich aus einer Grundform ergeben.
Die Struktur dieser Variationen verlangt genaue morphologische Kenntnisse, die nur durch langes, leidenschaftlich betriebenes Naturstudium erreicht werden können. Durch diese Verschränkung zoologischer Exaktheit mit künstlerischem Ausdruck entsteht das gültige Bild einer Spezies, das sich von einer bloßen naturalistischen Nachbildung weit entfernt hat.
Dabei beschwört Klaus Wiedmann mit der differenzierten Darstellung seiner Vögel nicht das Bild einer Naturidylle; er verweist uns vielmehr auf deren Lebensräume, die er selbst gut kennt und die durch den Menschen existentiell bedroht sind.
In der zweiten Werkgruppe nun widmet er sich mit ähnlicher Konsequenz und gestalterischer Leidenschaft der Figur des Menschen, der selbst Teil dieser Natur ist und seine Herkunft wie seine Abhängigkeit von der Schöpfung heute meist so grundlegend, mit fatalen Folgen, negiert. Diese schmerzhafte Dialektik von Leidenschaft und Irrtum wohnt den unbenannten, anonymen Gestalten Wiedmanns inne.
Die Abkehr vom Mimetischen ist sofort, und gerade im Vergleich zur Vogelskulptur, augenfällig. Das Individuelle der Persönlichkeit ist für den Bildhauer hier von untergeordneter Bedeutung. Es geht ihm vielmehr um das Typologische dieser Darstellung, um den Menschen als Zeichen, als Symbol humaner Existenz.
Dieser Dualismus zwischen Abstraktion und realistischer Darstellung, der kennzeichnend für Wiedmanns Bildwerke steht, verweist wiederum zurück auf die Darstellung von Tier und Mensch während des gesamten Paläolitikums, in dessen Verlauf einmal der Mensch, einmal das Tier in fortwährendem Wechsel abstrahierend oder naturalistisch formuliert wurden.
Die für die Plastik seit Constantin Brancusi essentielle Frage nach der einfachsten, strengsten und dennoch als Vehikel für bestimmte Vorstellungen und Gefühle tauglichen Form wird in den Figuren Klaus Wiedmanns auf autonome Weise aufgegriffen und beantwortet. Gewiß lässt sich auch sein Werk nicht aus seinem zeitlichen Kontext herauslösen. Die klassische Moderne (denken Sie nur an Alberto Giacometti!) hat ebenso wie die bereits erwähnten Felszeichnungen der Steinzeit großen Eindruck auf den Bildhauer gemacht; vieles in der Statuarik und Körperauffassung der Arbeiten gemahnt aber auch an Meister wie Anton Hiller, dessen Oeuvre gerade im süddeutschen Raum ganze Generationen von Bildhauern prägte.
Wollte man den ersten Eindruck dieser Gestalten mit Adjektiven benennen, würde man sagen: aufrecht, gelassen, würdevoll, von ausgeprägter Vertikalität. Gleichzeitig wirkt die betonte Plastizität der Glieder, die Schwellung von Schenkel oder Schulter einer völligen Stilisierung der Form entgegen.
Trotz des entschiedenen Willens zur Vereinfachung und Straffung bleibt die Erfahrung des Organisch-Figürlichen als Formanlaß spürbar.
Der Aufbau der Figuren ist ein additiver, ein Aufzählen und Komponieren einzelner, filigran gelängter Gliedmaßen, wobei sich trotz aller abstrahierenden Tendenz das Wesen des Humanen in seiner ursprünglichsten Bedeutung vermittelt.
Der Körper wird begriffen als Problem der Statik, des Volumens, der Oberflächenspannung und des Verhältnisses der Glieder zueinander; der Bildhauer greift reduzierend in den natürlichen Formbestand ein und organisiert ihn neu.
Die ästhetische Spannung baut sich zunächst innerhalb der Plastik auf. Die Ausgewogenheit von Masse und leeren Raum bestimmt gerade bei den seit den frühen 90er Jahren entstandenen Torsi den Spannungsbogen. In ihrem ausgewogenen In-sich-Ruhen negieren sie ihre innere Spannung nicht. Sie sind Körperfragment, reduziert auf Rumpf und Teile von Gliedmaßen; dennoch offenbart sich gerade in ihnen ein meisterlicher Umgang mit Masse und Raum.
Nach den Überlegungen Albert Einsteins reagiert der Raum auf angesammelte Masse. Sie strukturiert den Raum um sich herum. So relativiert sich auch der Raumbegriff: ändert sich die Masse bzw. ihr Volumen, verändert sich auch die Raumstruktur.
Dieses Volumen wird in den Paarfiguren wie in den Torsi Wiedmanns bis zum Äußersten zurückgenommen. Dennoch bestimmen sie, dem Einsteinschen Verdikt entsprechend, nachdrücklich den sie umgebenden Raum. Bei aller Radikalität, mit der sich die individuelle menschliche Gestalt zur anonymen Chiffre verwandelt, durchdringen eindeutige Geschlechtlichkeit, eine Ahnung von elementarer Empfindung und disziplinierter Leidenschaft die fein bearbeiteten Oberflächen in ihrer dunklen Patinierung.
Aus diesem Antagonismus von Geometrischem und Organischem, von formaler Disziplin und schwellender Körperform entsteht so der Reiz des Wiedmannschen Menschenbildes.